Ich sehe dich. Du sitzt am Küchentisch, der Morgenkaffee dampft und deine Gedanken kreisen wie Herbstblätter im Wind. So vieles bewegt dich: Die Kinder sind aus dem Haus, die Arbeitswelt verändert sich. Und du fragst dich, was du wirklich willst und was das Leben jetzt noch für dich bereithält.

Wie viele andere Frauen kenne ich dieses bleierne Gefühl, das uns Frauen hindert, in unsere volle Kraft zu kommen. Julia Cameron kannte es auch, als sie nach der Scheidung von ihrem Mann, Martin Scorsese, versuchte, sich von ihrer Alkohol- und Drogensucht zu befreien.

Ihre Methode nannte sie „The Artist’s Way“, den Weg des Künstlers. Doch sie ist viel mehr als das.

Der Weg des Künstlers – wie ein Buch deine Kreativität wecken kann

Wikipedia bezeichnet Julia Cameron als Lehrerin, Autorin, Künstlerin, Dichterin, Dramatikerin, Romanautorin, Filmemacherin, Komponistin und Journalistin. Sie ist eine Frau, deren Kreativität sprüht und die es sich zur Aufgabe gemacht hat, dieses lebhafte Sprühen in anderen Menschen zu wecken. In ihren Büchern teilt sie ihre tiefe Überzeugung: In jedem Menschen schlummert eine kreative Quelle, die nur darauf wartet, geweckt zu werden. 

Mein Exemplar der deutschen Erstausgabe „Der Weg des Künstlers“ wird nun bald 30 Jahre alt – und ich nehme es immer wieder gern zur Hand. Julia Cameron hat mich gelehrt, dass Kreativität kein exklusives Gut für besonders begabte Menschen ist, sondern eine Lebenskraft, die uns allen innewohnt. Sie sieht sie sogar als göttliches Geschenk. Weil sie tatsächlich den Begriff Gott verwendet, den sie gleichsetzt mit Göttin, Geist, Universum, Quelle oder Höhere Macht, landete das Buch in Deutschland zunächst in der Esoterik-Abteilung.

Heute ist ihr Buch von Julia Cameron längst ein anerkannter Ratgeber und Bestseller, der Menschen hilft, kreativer und selbstbewusster zu werden und Schreibblockaden zu überwinden. Inzwischen hat sie eine ganze Reihe von Büchern zu diesem Thema veröffentlicht. Auf deutsch erschienen sind unter anderem:

Der Weg des Künstlers im Beruf

Der Weg zum kreativen Selbst

Kreative Spiritualität: Selbstbewusst dem inneren Kompass folgen

Den Weg des Künstlers weitergehen

Mit offenen Augen durch die Welt

Schreib dich schlank: Der kreative Weg zum Wohlfühl-Ich (hat leider bei mir nicht geholfen)

Es ist nie zu spät neu anzufangen: Der Weg des Künstlers ab 60

Das ursprüngliche Programm besteht aus zwei zentralen Werkzeugen: dem Schreiben von Morgenseiten und dem Künstlertreff. Später kamen noch die Spaziergänge dazu. Ich beschreibe gleich, was es damit auf sich hat und meine Erfahrungen damit.

Morgenseiten am Bett

Die Morgenseiten: Die Magie des leeren Blattes

Die Morgenseiten sind eine tägliche Schreibpraxis, bei der du jeden Morgen, direkt nach dem Aufwachen, drei Seiten von Hand schreibst. Es geht darum, ohne Filter oder Zensur einfach und ehrlich alles festzuhalten, was in dir ist und sich in diesem Moment zeigt.

Natalie Goldberg, die mit Cameron befreundet ist, nannte es einmal „unrühmliche Gehirnentleerung“. Angst, Wut, Scham und Selbstvorwürfe, das alles darf aufs Papier fließen. Diese Seiten helfen dir, den Kopf zu klären, Sorgen loszulassen und einen bewussteren Umgang mit den eigenen Gedanken zu entwickeln.

Es gibt kein festgelegtes Thema, das Schreiben ist roh und ungeschönt – und gerade das ist das Befreiende daran. Unvollständige Sätze, schräge Ideen, heftige Gefühle – alles darf sein. Ganz ohne Wert auf Schönschrift, Rechtschreibung und literarischen Anspruch. Bei dieser Art des Schreibens geht es nicht um tolle Ideen (auch wenn die manchmal kommen), sondern sich einfach leerzuschreiben und die Kreativität in Fluss zu bringen.

Morgenseiten sind eine Form der Selbstreflexion, bei der du jeden Morgen ein Fenster in deinem Inneren öffnest. Wie Morgentau, der sich auf Grashalmen sammelt, tropfen deine Gedanken auf das Papier. Ungefiltert, ungeschliffen, wahrhaftig.

„Aber ich bin doch keine Schriftstellerin!“, denkst du jetzt. Genau das ist das Schöne: Du musst es auch gar nicht sein. Die Morgenseiten sind wie ein vertrautes Gespräch mit dir selbst, bei dem niemand zuhört und niemand urteilt. Sie sind der Ort, wo deine innere Kritikerin schweigen darf und deine Seele sprechen kann.

Was die Morgenseiten dir schenken können

Auch wenn ich es nicht jeden Morgen schaffe (und es Zeiten in meinem Leben gab, in denen ich ein Jahr lang nicht schrieb) schätze ich die Vorteile der Morgenseiten überaus. Und je älter ich werde, um so mehr genieße ich das Füllen der Seiten. Ich schreibe mir den Kopf frei und gewinne mehr Klarheit für den Tag. Oft enden meine Aufzeichnungen mit einer kurzen To-Do-Liste, auf der die Dinge stehen, die wirklich eine A-Priorität in meinem Leben haben.

Klarheit über das, was dich wirklich bewegt

Im Alltag überhören wir Frauen oft die leisen Stimmen unserer wahren Bedürfnisse. Die Morgenseiten schaffen einen Raum, in dem sich der morgendliche Gedankennebel lichtet. Während dein Stift über das Papier gleitet, erkennst du nach und nach klarer, was dich beschäftigt, was dich nährt und was dich vielleicht schon zu lange belastet.

Diese Klarheit hilft dir, bewusstere Entscheidungen zu treffen und dein Leben aktiv zu gestalten.

Einen Weg, alte Verletzungen sanft zu berühren und zu heilen

Die Morgenseiten sind wie ein geduldiger Zuhörer, der dir erlaubt, auch schmerzhafte Erfahrungen in deinem eigenen Tempo zu erkunden. Hier darfst du alte Geschichten noch einmal erzählen, frei und ehrlich. Du darfst sie aus der Weisheit deines heutigen Standpunkts betrachten und ihnen neue Bedeutungen geben.  

Das regelmäßige Schreiben in dein Notizbuch wird zu einem Ritual der Heilung, bei dem du selbst bestimmst, wie tief du gehen möchtest.

Raum für neue Träume und vergessene Sehnsüchte

Zwischen den Zeilen deiner Morgenseiten erwachen oft Wünsche, die du längst vergessen oder beiseite geschoben hast. Vielleicht taucht die alte Sehnsucht nach dem Malen wieder auf, oder du entdeckst den Wunsch, endlich einen lange aufgeschobenen Reisetraum zu verwirklichen. Die Morgenseiten geben deinen Träumen Raum zum Wachsen und helfen dir, erste kleine Schritte zu ihrer Verwirklichung zu planen.

Eine tägliche Praxis der Selbstfürsorge

Diese frühen Momente des Tages, die du dir selbst schenkst, sind mehr als nur eine Schreibübung. Sie sind eine Liebeserklärung an dich selbst, ein Versprechen, dass deine Gedanken und Gefühle wichtig sind. Die Regelmäßigkeit der Praxis stärkt dein Selbstvertrauen und deinen Mut und lehrt dich, gut für dich zu sorgen – jeden Tag ein bisschen mehr.

Die Entdeckung deiner eigenen Stimme

Mit der Zeit wirst du bei dieser Morgenroutine eine Stimme entdecken, die ganz dir gehört. Nicht die Stimme deiner Mutter, deines Partners oder deiner inneren Kritikerin, sondern deine ureigene Ausdrucksweise. Diese Stimme wird klarer und stärker, je öfter du ihr Raum gibst. Sie hilft dir, authentischer zu kommunizieren und selbstbewusster für deine Bedürfnisse einzustehen.

Künstlertreff in einer Galerie

Mein Künstlertreff in der Ausstellung der Künstlerin Małgorzata Chodakowska in Dresden Pillnitz

Der Künstlertreff: Eine Verabredung mit dem puren Leben

Wenn die Morgenseiten der sanfte Tagesanfang sind, dann ist der Künstlertreff ein kleines Fest für deine Seele. Es ist die wöchentliche „Verabredung“ mit dir selbst, bei der du etwas Ungewöhnliches oder Neues unternimmst. Das bedeutet auch, dass du diese Aktivitäten allein, ohne Begleitung, durchführst.

Neue Eindrücke von außen nähren deine Kreativität und öffnen das Bewusstsein für Inspirationen und Ideen. Gleichzeitig ist diese Zeit mit dir selbst auch eine besondere Form der Selbstfürsorge

Als ich mit den Morgenseiten begann, tat ich mich mit dem Künstlertreff schwer. Ich war ja keine Künstlerin und die Künstler die ich kannte, lebten und schwebten in andern Sphären. Erst nach und nach habe ich begriffen, was Julia Cameron mit dieser Methode meint.

Ich stöberte eines Tages in der Mittagspause absichtslos in der Wühlkiste eines Stoffladens, der in der Fußgängerzone stand. Schöne Stoffreste, die irgendwie immer doch zu knapp waren, um noch etwas daraus zu nähen. Dabei kam ich mit einer anderen Frau, die ebenfalls die Stoff-Schätze prüfte, ins Gespräch. Von unserem Austausch blieb mir ein einziger Satz in Erinnerung: „Was funktionieren soll, muss für mich einfach sein!“

Ein Satz, der mich ins Herz traf. Und ich begriff, das dies eben mein erster Künstlertreff gewesen war und dass es gar keine großartigen Aktionen sein müssen. Weil auch die kleinen Dinge im Leben alles bereit halten können, was ich brauche.

Was also könntest du tun? Ich habe seitdem viele verschiedene Dinge ausprobiert, manche auch mehrmals. Vielleicht passt etwas auch für dich:

Ein Konzert in der Mittagspause

Wenn du in der Stadt wohnst, gibt es vielleicht in deiner Nähe eine Kirche oder ein Kulturhaus, wo mittags oder am späten Nachmittag kurze Konzerte angeboten werden – perfekt für eine kreative Auszeit im Alltag. Lass dich von den Klängen tragen, schließe die Augen und spüre, welche Bilder und Gefühle die Musik in dir weckt. Da reichen schon 30 Minuten Orgelmusik oder ein kurzes Klavierkonzert, um deinen Tag mit neuer Energie zu füllen und deine Sinne zu öffnen.

An solchen Aktionen schätze ich vor allem die Verlangsamung. Ich habe das Gefühl, wenn ich die Zeit „mal kurz anhalte“, dann bekommen die Themen des Alltags wieder ihr richtiges Gewicht. Was ist dringend? Was ist wichtig? Und komme ich in meinem Leben wirklich vor?

Das „verrückteste“ Konzert, das ich je besucht habe, war übrigens eins aus der Reihe „mittendrin“ des Konzerthauses Berlin, bei dem die Zuhörer*innen im Saal zwischen den Musikerinnen und Musikern saßen. Ich hatte mir einen Platz bei den Celli ausgesucht.

 

Ein Besuch im Antiquariat

Ich liebe Buchläden, Bibliotheken und Antiquariate. Und Flohmärkte sowieso. Mich inspiriert diese besondere Atmosphäre alter Bücher. Ich streife durch die Regale, lasse die Fingerspitzen über die Buchrücken gleiten und entdecke vergessene Schätze. Probiere es doch auch einmal aus. Vielleicht findest du ein altes Kochbuch mit handgeschriebenen Notizen der Vorbesitzerin, einen Band vergilbter Fotografien oder Postkarten aus längst vergangenen Zeiten.

Die Magie dieser im Grunde absichtslosen Besuche besteht für mich in den unverhofften Inspirationen, die mir dabei zufliegen. Einige zeigen sich sofort, manche erst später, wenn ich Geschichten miteinander verwebe oder in meinen Projekten nach neuen Ideen suche.

Künstlertreff Flohmarkt

Eine Stunde im Park mit Skizzenbuch

Du musst keine Künstlerin sein, um die Welt zeichnend zu entdecken. Doch wenn du Freude an Farben und Linien hast, dann nimm dir ein praktisches Skizzenbuch und verschiedene Stifte mit in den Park. Zeichne, was dein Auge erfreut: die Struktur einer Baumrinde, das Spiel des Lichts auf einer Parkbank, die Form einer interessanten Wolke. Es geht nicht um Perfektion, sondern um achtsames Sehen und die Freude am Entdecken.

Hier geht es um Tiefe. Indem du in eine bestimmte Struktur tiefer eintauchst, kommst du auch auf einer tieferen Ebenen mit deinem Unbewussten in Kontakt und kannst ganz erstaunliche Erkenntnisse mit auf den Heimweg nehmen.

Lerne ein Handwerk kennen

Traditionelles Handwerk birgt eine besondere Faszination. Besuche Ausstellungen von Quilts, bestickten Textilien oder gewebten Kunstwerken. Gehe mal in eine Töpferei, eine Lederwerkstatt oder verabrede dich mit einer Schneiderin. Lass dich von Farben, Mustern und Texturen inspirieren. Oft erzählen diese Handarbeiten Geschichten von Frauen durch die Generationen hindurch – Geschichten von Kreativität, Ausdauer und der Kraft des künstlerischen Ausdrucks.

Ein Künstlerinnentreff dieser Art lehrt dich, Dinge auf eine neue Weise zu betrachten. Du erahnst den Wert und die Geschichten, die den Gegenständen, die du im Alltag nutzt, innewohnen. Und du kannst dich darüber mit anderen Frauen verbunden fühlen.

Ein Fotospaziergang durch dein Viertel

Meine aktuelle Challenge mit mir selbst besteht gerade in einem Wabi-Sabi-Online-Fotokurs. Dabei geht es um das das Einfangen einer bestimmten Stimmung. Und glaube mir, der Herbst ist ideal dafür.

Dank der modernen Smartphones haben wir ja heutzutage immer eine passable Kamera dabei. Du könntest also im Künstlertreff auch einmal deine gewohnte Umgebung mit neuen Augen entdecken. Was fällt dir ins Auge? Der morgendliche Nebel über den Gärten, das Spiel von Licht und Schatten an einer Hauswand, blühende Blumen im Nachbarsgarten oder interessante Türklinken alter Häuser? Konzentriere dich auf Details, die du sonst übersiehst. Vielleicht entwickelst du ein Thema, dem du über die Jahreszeiten hinweg folgen möchtest.

Ich spiele hier auch gerade mit meiner „Dranbleiben-Energie“. Und darüber hinaus verbinde ich mich mit einem intensiven Gefühl der Freude in mir.

Weitere kreative Möglichkeiten für deinen Künstlerinnentreff:

– Besuche einen Bauernmarkt und lass dich von Farben und Düften inspirieren
– Erkunde eine kleine Galerie und führe ein imaginäres Gespräch mit einem Kunstwerk
– Setze dich in ein gemütliches Café und beobachte das Leben um dich herum
– Besuche einen Handwerksbetrieb und lasse dir alte Techniken zeigen
– Erkunde einen Friedhof und entdecke die Geschichten in den Steinen
– Stöbere in einem Laden für Künstlerbedarf und experimentiere mit neuen Materialien

Das Wichtigste beim Künstlertreff ist, dass du diese Zeit ganz bewusst als Geschenk an dich selbst verstehst. Es sind keine Pflichtbesuche, sondern Entdeckungsreisen zu deiner Kreativität. Lass dich von deiner Neugierde leiten und sei offen für unerwartete Eindrücke und Begegnungen. Manchmal sind es gerade die ungeplanten Momente, die dich besonders berühren und inspirieren.

Wie du beginnst: Dein Start in die (neue) Praxis

Die ersten Morgenseiten

Dein Weg zu den Morgenseiten beginnt bereits am Abend zuvor: Bereite deinen Schreibplatz vor. Dein Notizbuch darf schön sein, muss es aber nicht. Morgenseiten sind kein Tagebuch – und nicht „für die Ewigkeit“ gedacht. Ich mag nach wie vor die billigen Collegeblöcke mit Ringbindung. Sie haben den Vorteil, dass mein Respekt vorm dem leeren Blatt viel kleiner ist und dass ich auch einmal eine Seite problemlos herausreißen kann.

Dein Stift sollte schnell und gut schreiben können. Und vielleicht hast du gern eine kleine Kerze, um dem Akt des Schreibens eine besondere Würde zu geben. Wähle einen Ort, an dem du ungestört sein kannst. Das kann der Küchentisch sein, eine gemütliche Ecke im Wohnzimmer oder ein eigens eingerichteter Schreibplatz.

Wenn du morgens erwachst, hole dir ein Getränk und beginne einfach zu schreiben. Lass die Worte fließen, wie sie kommen – ohne zu korrigieren, ohne zu bewerten. Es gibt kein „richtig“ oder „falsch“. Deine Handschrift muss nicht schön sein, deine Sätze müssen keiner Grammatik folgen.

Schenke dir mindestens 30 Minuten für diese Zeit mit dir selbst. Drei A4-Seiten sind das Ziel, aber der Weg dorthin darf wachsen. Was zählt, ist die Regelmäßigkeit und deine Bereitschaft, dir selbst zuzuhören.

Dein erster Künstlertreff

Um deinen Künstlertreff fest in deinem Leben zu verankern, ist es ideal, einen Tag zu finden, der meist frei von Verpflichtungen ist. Vielleicht ist es der späte Mittwochnachmittag oder der frühe Samstagmorgen. Reserviere dir mindestens zwei Stunden – Zeit, die ganz dir gehört.

In der Realität ist das oft gar nicht so einfach. Meine Wochen sind so unterschiedlich strukturiert, dass ich mit einem festen Konzept bereits in Woche zwei scheitern würde. Daher habe ich mir angewöhnt, immer dann, wenn ich die neue Woche plane, auch meine Zeit für den Künstlertreff zu reservieren.

Lass dich in dieser Zeit von deiner Neugierde leiten: Was hast du schon lange nicht mehr gemacht? Welches Museum, welche Galerie, welchen Park möchtest du erkunden? Wähle etwas, das dich mit freudiger Erwartung erfüllt. Betrachte es nicht als Pflichtveranstaltung, sondern als eine freudvolle Entdeckungsreise zu dir selbst.

Gehe diesen ersten Künstlertreff bewusst alleine an. Nicht aus Einsamkeit, sondern aus dem Wunsch heraus, ganz bei dir zu sein. So kannst du deinem eigenen Tempo folgen, deinen Impulsen nachgehen und die Eindrücke auf deine Weise verarbeiten.

10 Fragen zu Morgenseiten und Künstlertreff

Was ist der Unterschied zwischen Morgenseiten, Jounaling und Tagebuchschreiben?

Die Begriffe Morgenseiten, Journaling und Tagebuchschreiben klingen ähnlich, haben aber unterschiedliche Ziele. Dementsprechend ist auch der Schreibprozess verschieden.

Morgenseiten
Ziel: Den Kopf von Gedanken „freischreiben“, um kreative Blockaden zu lösen und einen klareren Zugang zu sich selbst zu finden.
Vorgehen: Jeden Morgen direkt nach dem Aufwachen drei Seiten handschriftlich schreiben. Es geht dabei nicht um Struktur, Stil oder ein bestimmtes Thema. Alles, was in den Kopf kommt, wird ungefiltert niedergeschrieben.
Besonderheit: Die Morgenseiten sind kein Ort für Reflexion oder gezielte Selbstanalyse, sondern ein rohes Ventil für den ungeschönten Gedankenstrom.

Journaling
Ziel: Bewusste Selbstreflexion, Zielsetzung, Achtsamkeit und persönliche Weiterentwicklung.
Vorgehen: Journaling kann thematisch geleitet sein, z. B. durch vorgegebene Fragen oder Impulse (z. B. „Wofür bin ich dankbar?“ oder „Was habe ich heute gelernt?“). Es ist weniger strikt als die Morgenseiten und kann zu jeder Tageszeit durchgeführt werden.
Besonderheit: Journaling ist flexibler und zielt darauf ab, Gedanken zu ordnen, Emotionen zu verarbeiten oder sich selbst besser kennenzulernen. Manchmal werden strukturierte Techniken wie Listen oder Diagramme verwendet.

Tagebuchschreiben
Ziel: Ereignisse, Gedanken und Gefühle eines Tages festzuhalten und zu reflektieren.
Vorgehen: Im Tagebuch beschreibt man typischerweise Erlebnisse, Erfahrungen und die eigenen Gefühle dazu. Es kann eine Mischung aus Erinnerung, Reflexion und emotionalem Ausdruck sein.
Besonderheit: Es ist oft narrativer und persönlicher als Journaling und kann sich auf bedeutende Ereignisse, Alltagsbeobachtungen oder innere Entwicklungen konzentrieren.

Jede dieser Methoden hat ihren eigenen Wert und spricht unterschiedliche Bedürfnisse an, sei es zur Entlastung des Geistes, zur Selbstreflexion oder zum Festhalten des Lebens.

Ich rate dir (aus eigener Erfahrung) davon ab, Morgenseiten und Tagebuch zu mischen. Nimm getrennte Kladden.

Ich habe morgens gar keine Zeit für drei Seiten. Was nun?

Du brauchst für die Morgenseiten durchschnittlich 30 Minuten Zeit. Wenn du magst, stelle deinen Wecker 20-30 Minuten früher. Oder verschiebe den ersten Termin des Tages um 30 Minuten nach hinten. (So mache ich das.)

Beginne mit dem, was möglich ist – auch eine Seite ist ein Anfang. Oder 3 DinA-5-Seiten. Die gewonnene Klarheit und Fokussierung im Tagesverlauf gleicht den Zeitaufwand meist aus.

Kann ich die Morgenseiten auch abends schreiben?

Grundsätzlich ist jedes Schreiben wertvoll, aber Morgenseiten und Abendseiten haben unterschiedliche Qualitäten:

Besonderheiten der Morgenseiten:
– Der Kopf ist noch frei von Tageseindrücken
– Du hast direkteren Zugang zu deinem Unterbewusstsein
– Das Schreiben wirkt sich positiv auf deine Produktivität und den gesamten Tag aus
– Du kannst besser Prioritäten setzen
– Der Tag beginnt mit Selbstfürsorge

Wenn du deine Gedanken abends aufs Papier bringst:
– Du verarbeitest eher die Ereignisse des Tages
– Deine Aufzeichnungen werden wie ein Tagesrückblick wirken
– Es kann helfen, den Kopf vor dem Schlafengehen freizubekommen
– Die transformative Wirkung für den Tagesverlauf entfällt
– Alltagserlebnisse können den Schreibfluss stärker beeinflussen

Mein Tipp:
Probiere wenn möglich zunächst die klassischen Morgenseiten aus. Wenn dein Lebensrhythmus das morgendliche Schreiben wirklich nicht zulässt, etabliere eine regelmäßige Abendschreibpraxis. Das Wichtigste ist die Regelmäßigkeit und dass du einen Zeitpunkt wählst, an dem du ungestört und präsent sein kannst.

Falls du im Schichtdienst arbeitest oder einen unregelmäßigen Tagesrhythmus hast, definiere „morgens“ als die Zeit direkt nach deinem Aufwachen – unabhängig von der Uhrzeit.

(Wie lange) Soll ich meine Morgenseiten aufbewahren?

Das Aufbewahren der Morgenseiten ist optional. Der Schreibprozess selbst ist wichtiger als das Endergebnis.

Meine Empfehlung: Lies die Seiten mindestens acht Wochen nicht, unabhängig davon, ob du sie aufhebst oder nicht. Dies verhindert übermäßige Selbstanalyse und erhält den freien Schreibfluss.

Ich persönlich entsorge sie übrigens einmal pro Jahr.

Ich habe Angst, dass andere meine Morgenseiten finden und lesen könnten.

Morgenseiten sind absolute Privatshäre. Klar, dass du sie schützen willst.

Vielleicht hilft dir eine der folgenden  praktische Lösungen:- Nutze einen verschließbaren Ordner
– Finde einen persönlichen Ort, der von allen Familienmitgliedern/Mitbewohnern respektiert wird
– Kennzeichne dein Heft als privates Dokument

– Entsorge die beschriebenen Seiten direkt

Wähle die Methode, die dir die nötige Sicherheit für offenes Schreiben gibt.

Was mache ich, wenn mir nichts einfällt?

Das kann schon mal passieren – vor allem, wenn du gerade erst beginnst.

Bei scheinbarer Ideenlosigkeit beschreibe diese Situation: „Mir fällt nichts ein“ oder schreibe: „Blöd, blöd, blöd …“ solange bis dir dein Hirn die ersten Sätze liefert.

Notiere auch Alltagsbeobachtungen oder beschreibe deine unmittelbare Umgebung: „Ich sitze am Küchentisch und der Kaffee wird kalt. Ich mag keinen kalten Kaffee …“ Diese ersten Sätze öffnen dir den Weg zu tiefergehenden Gedanken. Es gibt keine falschen Themen – alles, was sich zeigt, ist relevant.

Darf ich die Morgenseiten auch am Computer schreiben?

Ich empfehle dir unbedingt, mit der Hand zu schreiben. Es ist ein wesentlicher Bestandteil der Methode. Es bietet dir mehrere Vorteile:
– Verlangsamung deines Gedankenflusses
– Tiefere neurologische Verarbeitung
– Vermeidung von sofortigen Korrekturen
– Stärkere körperliche Verbindung zum Schreibprozess

Wenn du trotz allem am PC schreiben willst, dann stelle die Schriftart auf weiß, so dass du nicht in Versuchung kommst, Fehler gleich zu korrigieren. Probiere bitte unbedingt auch das Schreiben mit der Hand und erlebe den Unterschied!

Was passiert, wenn ich mal einen Tag oder einige Zeit aussetze?

Unterbrechungen sind normal und kein Grund aufzugeben. Das ist das Leben! Gerade bei uns Frauen ist der Alltag manchmal einfach viel zu voll!

Setze am nächsten Tag oder sobald du es wieder einrichten kannst,  wieder ein. Die Kontinuität entwickelt sich mit der Zeit. Notiere dir kurz die Gründe für die Unterbrechung – dann findest du heraus, ob und wie du dein Zeitmanagement verbessern kannst.

Mein Tipp: Warte nicht auf den perfekten Moment oder den perfekten Morgen. Done is better than perfect!

Wie viel Zeit sollte ich für den Künstlertreff investieren?

Der Künstlertreff lässt sich flexibel gestalten. Natürlich ist es schön, sich einmal einen ganzen Nachmittag freizunehmen und mit einem völlig neuen Thema zu beschäftigen. In der Realität passt das nicht jede Woche, zumindest bei mit nicht.

Effektive Kurzformate sind:
– 30-45 Minuten Galeriebesuch in der Mittagspause
– Ein fokussierter Fotospaziergang (1 Stunde)
– Gezielte Beobachtungszeit in einem inspirierenden Umfeld

Die Regelmäßigkeit und dass es wirklich eine Qualitätszeit für dich ist, sind wichtiger als die Dauer.

Merke ich überhaupt eine Veränderung?

Nach 4-6 Wochen regelmäßiger Praxis wirst du bemerken, dass sich etwas verändert hat.
– Du triffst klarere Entscheidungen
– Du nimmst deine innere Stimme deutlicher wahr
– Im Alltag bist du kreativer. Dein Kreativitäts-Tank ist einfach gut gefüllt.
– Es fällt dir immer leichter, Worte aufs Papier zu bringen

Du könntest ein kurzes Protokoll deiner Erfahrungen führen, um deine Fortschritte zu dokumentieren.

 Fazit

Diese beiden Praktiken – Morgenseiten und Künstlertreff –  sind wie Schlüssel zu Räumen in dir, die lange verschlossen waren. Sie helfen dir, dich selbst neu zu entdecken – gerade jetzt, wo das Leben dich einlädt, neue Wege zu gehen. Sie sind Werkzeuge der Selbstfürsorge und der sanften Transformation.

Fang morgen an …

Die praktische Umsetzung beginnt mit einer einfachen Vorbereitung: Lege dir Schreibmaterial bereit und bestimme deine Startzeit für morgen. Die Erfahrung zeigt, dass sich der Prozess am besten durch konkretes Beginnen erschließt.

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