Immer diese Morgenseiten! Es begann schleichend. Erst war es nur ein Morgen, an dem ich dachte: „Ach, heute mal nicht.“ Dann noch einer. Und plötzlich war eine Woche vergangen, ohne dass ich ein einziges Wort zu Papier gebracht hatte. Es fühlte sich harmlos an – eine kleine Pause, nichts Dramatisches. Ich hatte sogar das Gefühl, Zeit zu sparen. Doch ab der dritten oder vierten Woche wurde es im wahrsten Sinne des Wortes chaotisch.
Der schleichende Kontrollverlust
Ohne meine Morgenseiten fehlte mir die Klarheit. Ich verlor mich in Gedankenschleifen, fing ständig neue Kleinstprojekte an, drehte mich im Kreis, verzettelte mich in To-dos, ohne wirklich etwas zu erledigen. Und nicht nur in meinem Kopf wurde es unübersichtlich.
Mein Arbeitszimmer spiegelte mein inneres Durcheinander: Stapel wucherten, Notizzettel lagen überall, als hätten sie sich über Nacht vermehrt.
Ich stand über den Dinge und meinte, es lägen halt überall Ideen herum. Doch das hatte seinen Preis.
Der Aha-Moment
Der Aha-Moment kam mit voller Wucht, als ich dringend benötigte Unterlagen nicht finden konnte. In buchstäblich letzter Minute schrieb ich einen Bericht für ein wichtiges Projekt ein zweites Mal, so gut es eben auf die Schnelle ging. Ich wusste, dass ich die Aufgabe bereits erledigt hatte – doch die Unterlagen waren und blieben unauffindbar.
So konnte es nicht weiter gehen. Mir fiel auf, dass ich in den letzten Wochen trotz der angeblich gewonnenen 20 Minuten (länger brauche ich in der Regel nicht) viel weniger geschafft hatte, als normal. Mist!
Und hatte ich überhaupt Zeit gespart? Oder hatte ich nicht vielmehr in dieser Zeit anstatt den Fokus zu halten durch diverse Statusberichte und soziale Medien gescrollt? Doppelt Mist!!
Die Rückkehr zur Routine
Das war der berühmte Schuss vorn Bug! Am nächsten Morgen setzte ich mich wieder hin. Drei Seiten. Handgeschrieben. Ohne Druck, aber mit dem Wissen: Das ist mein Anker. Die Konfusion bleibt auf dem Papier, meine Gedankenwelt sortiert sich.
Meine Routine sieht so aus, dass ich mir einen Pott Kaffe mache, sobald mein Mann das Haus verlassen hat. Und dann wird geschrieben. Die ersten ein, zwei Seiten sind wirklich schräg. Daran habe ich mich gewöhnt. Doch spätestens auf Seite drei kommt die Klarheit darüber, wie ich den Tag gestalten will. Ich sitze wieder am Steuer.
Und die Morgenseiten sind so etwas wie mein Navi. Und weil ein Navigationsgerät am nützlichsten ist, wenn man ein Ziel eingegeben hat, beende ich persönlich meine Seite mit meinen drei „Meisterinnen-Schritten“ – einem kleinen Ritual, das ich mir vor fast 10 Jahren in einer Mastermind-Gruppe ausgedacht habe. Jeden Tag zwei kleine Todos, die hundertprozentig auf mein Ziel einzahlen und eines zur Selbstfürsorge.
Julia Cameron sagt darüber:
Es ist sehr schwierig, Morgen für Morgen und Seite um Seite über etwas zu klagen, ohne zu konstruktivem Handeln angeregt zu werden.
Mein Fazit – das habe ich dabei gelernt
Über den Tag hinweg bin ich jetzt wieder viel zielgerichteter, weiß, was wirklich wichtig ist, anstatt mich in Kleinigkeiten zu verlieren. Oder in Social Media.
Wir leben in so herausfordernden Zeiten, in denen überall Ablenkungen und Verzettelungsangebote winken. Als allseitig interessierter und leicht zu begeisternder Mensch brauche ich Fokuszeiten. Das kennst du vielleicht auch.
Ein Tag Pause ist okay. Manchmal sogar nötig. Aber dann: wieder hinsetzen. Stift aufs Papier. Gedanken ordnen. Denn meine Morgenseiten sind nicht nur eine Schreibpraxis – sie sind mein inneres Aufräumen. Und das brauche ich. Jeden Tag.
Was sind Morgenseiten überhaupt?
Morgenseiten sind eine von Julia Cameron in ihrem Buch „Der Weg des Künstlers“ populär gemachte Methode, um die Gedanken und Gefühle des Unterbewusstseins aufzuschreiben. Es geht nicht darum, schöne oder kohärente Texte zu produzieren, sondern einfach nur darum, alles aufzuschreiben, was einem in den Sinn kommt. Dies soll helfen, den Geist zu befreien und Platz für neue Ideen und Kreativität zu schaffen. Dazu gibt es übrigens schon einen ganzen Blogbeitrag.
Probieren geht über Studieren 🙂
Ich mag sie, brauche sie und finde mich gerade wieder neu in die Routine ein. Doch nicht jeder Mensch profitiert von Morgenseiten. Vielleicht findest du es schwierig, jeden Morgen drei Seiten zu füllen. Oder du denkst es ist albern. Ehrlich gesagt, es ist ein bisschen wie beim Essen. Nicht gleich ablehnen – sondern erst einmal probieren. Am besten ein paar Tage lang. Dann wirst du herausfinden, ob Morgenseiten für dich geeignet sind.
Alternativen zu Morgenseiten
Es gibt viele andere Methoden, um den Geist zu befreien und die Kreativität anzuregen. Dazu gehören beispielsweise Meditation, Yoga, Spaziergänge in der Natur oder das Führen eines Dankbarkeitstagebuchs.
Übrigens gibt es in meinem sonntäglichen Newsletter zum Thema Klarheit finden durch (biografisches) Schreiben immer wieder Anregungen, die du mit Spaß und Leichtigkeit umsetzen kannst.
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Liebe Eva, das ist ja wirklich spannend und beeindruckend, dass du jeden Morgen 3 Seiten schreibst. Danke für diesen informativen Artikel. Ich hab ja auch so meine Routinen morgens, das ist einerseits eine geführte Meditation und andererseits sind es positive Affirmationen, die mich dann durch den Tag begleiten. Diese Routinen mache ich noch im Bett, bevor ich aufstehe. Kommende Woche werde ich mal schauen, dass ich mich nach dem Bad an meinen Schreibtisch setze und mit dem Schreiben anfange. Herzensgrüße, Ulrike
Liebe Ulrike, ich bin gespannt, wie es dir nützt. Meditation finde ich auch gut – und in gewissem Sinne sind Morgenseiten auch eine Art Meditation.
Viel Erfolg.
Eva