Genogramme sind faszinierende Werkzeuge in der systemischen Familientherapie und Beratung. Wie ein kunstvolles Gemälde erzählen sie die Geschichte einer Familie über Generationen hinweg – mit all ihren Verbindungen, Brüchen, Mustern und Besonderheiten. Jedes grafische Symbol, jede Linie trägt dabei eine eigene Bedeutung und macht das Unsichtbare sichtbar: Die Dynamiken, die Beziehungen und die Entwicklungen innerhalb eines Familiensystems.
Besonders spannend ist, dass es für die Darstellung keine streng verbindlichen Regeln gibt. Während sich bestimmte Grundsymbole in der Praxis etabliert haben, können Therapeuten und Berater die Darstellung flexibel an ihre Bedürfnisse und die ihrer Klienten anpassen. Diese Freiheit ermöglicht es, auch komplexe oder ungewöhnliche Familienkonstellationen angemessen abzubilden. Die hier vorgestellten Symbole sind daher als hilfreiche Orientierung zu verstehen, die kreativ erweitert und modifiziert werden kann.
Die Bedeutung des Genogramms im Selbstcoaching
Das kannst du auch allein probieren. Das Genogramm ist eine Art Familien-Mindmap. Es hilft dir, deine persönliche Geschichte aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und die Verbindungen zu erkennen, die Dein Verhalten, Deine Gefühle und Deine Entscheidungen prägen.
Das Erstellen eines Genogramms ermöglicht dir, aus der Vogelperspektive auf deine familiären Beziehungen zu schauen. Du erkennst wiederkehrende Konflikte, entdeckst Ressourcen deiner Vorfahren oder verstehst plötzlich, warum bestimmte Themen in deiner Familie besonders sensibel sind. Diese Erkenntnisse können der Schlüssel zu persönlichem Wachstum und Veränderung sein – und das ganz ohne therapeutische Begleitung.
Grundlegende Genogrammsymbole
In einem Genogramm sind die Personen-Symbole weitaus mehr als nur Kreise und Quadrate – sie sind Fenster zu den individuellen Geschichten und Beziehungen in deiner Familie.
Geschlechtsspezifische Symbole
Traditionell stehen Kreise für Frauen und Quadrate für Männer. Doch die Vielfalt des Lebens erfordert oft differenziertere Darstellungen, um alle Facetten einer Familiengeschichte sichtbar zu machen.
Die Darstellung von queeren Menschen in einem Genogramm ist ebenso wichtig wie die aller anderen Familienmitglieder.
Quadrat: Symbolisiert männliche Familienmitglieder
Kreis: Steht für weibliche Familienmitglieder
Quadrat mit Dreieck: Homosexueller Mann
Kreis mit Dreieck: Lesbische Frau
Kreis/Quadrat-Kombinationen: Transgender Person
Dreieck: Fehlgeburt
Durchkreuzter, schwarzer Kreis: Abtreibung
Alters- und Lebensstatus
Üblicherweise trägt man in den Kreis oder das Quadrat das Alter der Person ein. Manchmal werden stattdessen (wenn die Symbole im Genogramm groß genug sind) stehen in den Symbolen die Geburts- und Sterbedaten.
Egal, wie du dich entscheidest: Bleibe bei einem System.
Leeres Symbol: Person lebt (mit oder ohne Altersangabe)
Durchgestrichenes Symbol: Verstorbene Person (mit oder ohne Altersangabe)
Datum im Symbol: Geburtsdatum/Sterbedatum

Beziehungslinien
Partnerschaftsbeziehungen
Durchgezogene Linie: Ehe
Gestrichelte Linie: Nicht-eheliche Lebensgemeinschaft
Durchgestrichene Linie: Trennung oder Scheidung
Ringe-Symbol: Hochzeit mit Jahr
Verwandtschaftsbeziehungen
- Vertikale Linie: Eltern-Kind-Beziehung
Horizontale Linie: Geschwisterbeziehung

Direkte Ahnenlinien
Vaterlinie
Wenn du nach diesem Schema arbeitest, findest du die Ahnenreihe der Väter ganz links angeordnet. Schau dir dein Genogramm an: Beginne bei deinem Vater und folge der Linie nach links – so entdeckst du seine Vorfahren, von Großvätern bis zu den ältesten männlichen Generationen. Diese linke Seite ist dein Kompass, der dir hilft, den Weg der väterlichen Weitergabe von Erfahrungen, Werten und auch möglichen Konflikten zu verstehen.
In früheren Generationen wurde über diese Linie (fast) immer der Familienname weitergegeben.
Mutterlinie
Im Genogramm ist die mütterliche Ahnenreihe typischerweise auf der rechten Seite angeordnet. Starte bei deiner Mutter und folge der Linie nach rechts – dort findest du die Spuren der Frauen, die deine Familiengeschichte geprägt haben. Diese rechte Seite gibt dir einen klaren Überblick über die mütterliche Weitergabe von Werten, Traditionen und auch emotionalen Erlebnissen.
Diese Übersichtlichkeit ist die Stärke des Genogramms. Du erkennst schnell, welche Einflüsse über Generationen hinweg weitergegeben wurden und wie sie vielleicht auch deinen eigenen Weg geprägt haben. Nutze diesen Überblick, um deine Familiengeschichte tiefer zu erforschen und deine eigene Identität im Licht dieser Erzählungen zu reflektieren.

Symbole für Beziehungsqualitäten
Doppelte Linie: Sehr enge Bindung
Zickzack-Linie: Konfliktreiche Beziehung
Unterbrochene Linie: Distanzierte Beziehung oder Kontaktabbruch
Doppelte Zickzack-Linie: Abbruch der Beziehung
Umkreisung: Zusammenlebende Personen oder Personengruppen, die eng miteinander verbunden sind.

Verwendung von Farben im Genogramm
Farben sind im Genogramm wie kleine Wegweiser, die dir dabei helfen, Muster und Zusammenhänge auf einen Blick zu erkennen. Durch den gezielten Einsatz von Farben kannst du emotionale Verbindungen, Rollen oder besondere Ereignisse in deiner Familiengeschichte hervorheben.
Auch hier gibt es keine allgemein festgelegten Regeln. Vielleicht wählst du beispielsweise eine warme Farbe, um positive Beziehungen darzustellen, oder eine kühlere Nuance, um Konflikte und Distanz zu symbolisieren.
Oder markierst berufliche Muster oder Fähigkeiten. Das hängt immer davon ab, was du im Moment von deinem Genogramm erfahren willst.
So wird dein Genogramm nicht nur zu einer strukturierten Darstellung von Generationen, sondern auch zu einer lebendigen Landkarte deiner Familiengeschichte – reich an Emotionen und bedeutungsvollen Details.
Farben helfen dir, deine eigene, individuelle Geschichte klarer zu sehen und zu verstehen, welche Einflüsse und Muster sich in deiner Ahnenreihe wiederholen.

Praktische Anwendung
So gehst du Schritt für Schritt vor
Am besten startest du mit deiner Kernfamilie – das sind du selbst, deine Eltern und Geschwister. Das ist sozusagen dein „Basislager“. Von hier aus erweiterst du das Genogramm nach und nach mit Symbolen und Verbindungslinien um weitere drei Generationen.
Wie Ringe um einen Stein, den du ins Wasser wirfst, fügst du Großeltern, Tanten, Onkel und deren Familien hinzu. Im besten Falle sollte dein Genogramm bis zu den Urgroßeltern reichen. Wenn diese Grundstruktur steht, machst du dich an die spannende Arbeit: das Einzeichnen der Beziehungen. Mit den verschiedenen Linien und Symbolen machst du sichtbar, wie die Menschen in deiner Familie miteinander verbunden sind – oder eben auch nicht.
Zum Schluss bereicherst du dein Genogramm mit allen Informationen, die dir wichtig erscheinen: bedeutsame Ereignisse, Krankheiten, Umzüge, berufliche Entwicklungen oder besondere Talente. So entsteht Schicht für Schicht ein lebendiges Bild deiner Familiengeschichte.
Clever arbeiten mit deinem Genogramm
Ein paar praktische Tipps aus meiner Erfahrung:
Bewahre das Grundgerüst deines Genogramms gut auf oder mache dir gleich mehrere Kopien davon. Das spart dir später viel Zeit, wenn du deine Familiengeschichte unter verschiedenen Blickwinkeln betrachten möchtest. Ob Berufsweg, Gesundheitsthemen oder Beziehungsmuster – mit dem fertigen Grundgerüst kannst du sofort loslegen.
Achte bei der Erstellung auf eine klare, übersichtliche Gestaltung – das hilft dir, den Überblick zu behalten und neue Zusammenhänge zu erkennen.
Trage wichtige Ereignisse zeitnah ein, solange die Erinnerung noch frisch ist. Familiensysteme sind lebendig und entwickeln sich ständig weiter – deshalb lohnt es sich, dein Genogramm von Zeit zu Zeit zu aktualisieren. So bleibt es ein lebendiges Werkzeug für deine Selbstreflexion.
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