In meiner Beratungstätigkeit begegne ich fast täglich Menschen, die sich in stürmischen Zeiten befinden. Da sind die Begegnungen mit Menschen, die mit der Diagnose Demenz leben (ich mag nicht „leiden“ schreiben). Sie zeigen mir immer wieder, welch immense Kraft in biografischen Ankerpunkten steckt – vor allem in Schlüsselwörtern, die auch dann noch leuchten, wenn andere Erinnerungen verblassen.

Doch mit der Zeit hat sich für mich etwas Erstaunliches abgezeichnet: Diese besondere Aufmerksamkeit für Schlüsselwörter kann jedem Menschen als Zugang zu einem tieferen Selbstverständnis dienen.

Ich erinnere mich an Heidrun. In unseren Gesprächen über die Herausforderungen der Pflege ihrer demenzkranken Mutter tauchte immer wieder das Wort „Verantwortung“ auf – ein Begriff, der weit über die gegenwärtige Belastung hinausreichte. Dabei entdeckten wir, dass Heidruns Gefühl der Überforderung in einem lebenslangen Muster verwurzelt war, das bereits in ihrer Kindheit seinen Ursprung hatte.

Schlüsselwörter sind weit mehr als nur chronologische Markierungen von Lebensereignissen. Sie offenbaren die subjektive Bedeutung, die jeder Mensch seinen Erfahrungen zuschreibt. Wie unscheinbare Wegweiser weisen sie auf grundlegende Werte, ungelöste Konflikte, verborgene Ressourcen und prägende Überzeugungen hin – und das oft über verschiedene Lebensphasen hinweg.

Der Zauber der Schlüsselwörter

In meinen Coachings geht es oft darum, dass Menschen sich selbst stärken – gerade in Momenten, in denen das Leben ein wenig aus der Bahn geraten ist. Schon in der Problembeschreibung lässt sich erahnen, wo die Lösung liegen könnte.

Schlüsselwörter wie „Mut“, „Liebe“, „Vertrauen“ oder „Freiheit“ haben eine enorme Kraft. Sie fassen ganze Erlebnisse, Gefühle und Werte in einem einzigen Wort zusammen. Ganz oft höre ich auch das Wort „Leichtigkeit“ als Sehnsuchtswort oder Sehnsuchtsort.

Nicht immer ist es ganz so einfach. Oft steht das eigentliche Bedürfnis hinter dem Schlüsselwort versteckt und will gefunden werden.

Vielleicht mache ich einmal eine Liste der schönsten Schlüsselwörter, die ich je gehört habe. Darauf stehen dann auch so individuelle Wörter wie Oma Inge, Sardinien, Vaters Hühner, Knödel (übrigens der Name einer Katze), Eleganz, Beatles, Sternenhimmel, Widerstand und Gottvertrauen. 

Genau das macht die Kraft von Schlüsselwörtern im biografischen Coaching aus. Diese Worte sind mehr als nur Begriffe: Sie sind Leuchttürme, die Menschen helfen, ihre Lebensgeschichte zu verstehen und einen Weg zu finden, der wirklich ihr eigener ist.

Den inneren Kompass entdecken

Wenn ich mit meinen Klientinnen arbeite, lade ich sie ein, in ihre Erinnerungen einzutauchen. Wir schauen uns gemeinsam an, wann sie sich besonders lebendig oder geborgen gefühlt haben. Dabei entstehen oft faszinierende Erkenntnisse. Ein ganzes Kapitel des Lebens kann in einem einzigen Begriff zusammengefasst werden. Dieses Wort wird zum Symbol für die eigenen Stärken und Wünsche.

Am besten fängst du damit an, einmal in Ruhe in dich hineinzuhorchen – so, als würdest du einem guten Freund zuhören. Vielleicht nimmst du dir einen Tag oder Abend, an dem du in deinem Tagebuch schreibst und überlegst, welche Momente in deinem Leben dir besonders wichtig waren. Oft stecken in diesen Erinnerungen schon erste Anhaltspunkte, welche Werte und Gefühle dir am Herzen liegen.  

Du kannst dir zum Beispiel folgende Fragen stellen:  
– Wann habe ich mich richtig lebendig gefühlt?  
– Welche Erlebnisse haben mich tief berührt?  
– Was schätze ich an mir und an anderen Menschen? 

Probiere auch mal eine kleine Mind-Map: Schreib in die Mitte ein zentrales Gefühl oder Erlebnis und notiere drum herum, welche weiteren Begriffe dazu passen. Das kann überraschende Verbindungen aufdecken und dir zeigen, welche Worte wie Leuchttürme in deinem Leben wirken.  

Letztlich gibt es keinen „perfekten“ Weg – es geht darum, dass du dir erlaubst, auf deine innere Stimme zu hören und diese Worte immer wieder neu entdeckst.

Das ganze Glück

Geduld, Empathie und Aufmerksamkeit – die Schlüssel zum Schlüsselwort im Coaching

Der Weg zu diesen persönlichen Schlüsseln ist ein Gespräch auf Augenhöhe. Ich höre deinen Worten zu, achte auf deine Mimik, die Gestik und den Tonfall. Den Moment, wenn deine Augen leuchten. Jedes Detail kann einen Hinweis darauf geben, was dir in der Tiefe wichtig ist. Dabei geht es nicht um eine schnelle Lösung, sondern um das behutsame Erkunden deiner Geschichte. 

In der Biografiearbeit findet dann ein wunderbarer Prozess statt, der in beide Richtungen wirkt:

Indem wir in deinen Geschichten wiederkehrende Schlüsselwörter entdecken, verbinden sich scheinbar lose Erinnerungen zu einem klaren Bild.

Gleichzeitig holen wir damit neue Geschichten an die Oberfläche.

Diese Verbindung ist motivierend und befreiend. Du erkennst, dass jeder Lebensabschnitt – ob herausfordernd oder freudig – einen unschätzbaren Wert besitzt. Die gefundenen Schlüsselwörter öffnen Türen zu neuen Perspektiven und stärken dich in den Alltagssituationen, denen du heute gegenüberstehst.

Und wie ist es bei Demenz?

Bei Menschen mit Demenz wirken Schlüsselwörter noch viel stärker, geradezu magisch. Diese Worte fungieren als sichere Anker in der oft stürmischen Brandung des Vergessens, indem sie eine Brücke schlagen zwischen der Gegenwart und einer reichen, persönlichen Vergangenheit. Ein einziges, bedeutungsvolles Wort – sei es ein Name, ein Ort oder ein liebgewonnenes Erlebnis – kann verlorene Erinnerungen zurückholen und so einen Moment der Klarheit schaffen, in dem sich Geborgenheit und Identität neu entfalten. 

Ich erinnere mich an eine ehemalige Verkaufsstellenleiterin. Eines ihrer Schlüsselwörter war das Wort „Kunden“. Es macht sie so zufrieden, wenn man ihr sagte, dass der Kundendienst bei ihr einmalig wäre und man als Kunde sehr zufrieden sei. Dadurch stärkten die Pflegekräfte und Besucher, die um dieses Wort wussten, das emotionale Wohlbefinden der Frau. Und gleichzeitig gelang es noch sehr lange Zeit den Zugang zu wertvollen Erlebnissen und zur eigenen Idendität aufrechtzuerhalten. 

Heidruns Geschichte – so ging es weiter

Nach der Erkenntnis, dass „Verantwortung“ ein zentrales Schlüsselwort in Heidruns Leben war, entwickelte sich unser Coaching-Prozess in mehreren wichtigen Schritten:

Zunächst erkundeten wir gemeinsam die Geschichte dieses Schlüsselworts in ihrem Leben. Heidrun erkannte, dass sie als ältestes Kind früh Verantwortung für ihre jüngeren Geschwister übernehmen musste, während ihre Eltern beruflich stark eingespannt waren. Dieses Muster setzte sich in ihrer Schulzeit, ihrer Berufswahl im sozialen Bereich und in all ihren Beziehungen fort. Die Pflege ihrer an Demenz erkrankten Mutter war nun die aktuelle Manifestation eines lebenslangen Musters.

Ein wichtiger Wendepunkt kam, als wir begannen, die unterschiedlichen Qualitäten von Verantwortung zu differenzieren. Wir arbeiteten mit drei Bildern:

  1. Die „Verantwortung als Last“ – ein schwerer Rucksack, den sie allein tragen musste
  2. Die „geteilte Verantwortung“ – ein Netzwerk aus vielen Händen, die gemeinsam tragen
  3. Die „Verantwortung für sich selbst“ – kein Egoismus, sondern Notwendigkeit

Heidrun begann zu verstehen, dass ihr Selbstwert nicht davon abhing, alles allein bewältigen zu können. Wir entwickelten konkrete Schritte:

  • Sie organisierte ein Familiengespräch, in dem Aufgaben in der Pflege ihrer Mutter neu verteilt wurden und auch die Geschwister einen Teil übernahmen
  • Sie lernte, professionelle Unterstützung durch ambulante Dienste nicht als persönliches Versagen, sondern als sinnvolle Ressource zu sehen
  • Parallel dazu identifizierten wir freudvolle Schlüsselwörter aus ihrer Biografie, die in den Hintergrund geraten waren. 

Mehr als das biografische Schreiben, für das sie keine Zeit fand, mochte Heidrun das Erzählen ihrer Geschichte. Wir gestalteten eine Collage und fanden weitere Schlüsselwörter, die in anderen Phasen ihres Lebens Bedeutung hatten. „Kreativität“ war ein solches Wort – in ihrer Jugend hatte Heidrun leidenschaftlich gemalt. Das „Naturfreundehaus“, in dem sie im Vorstand saß gehörte ebenso dazu wie das „Reisen“ und das „Schwimmen im See“. 

Nach etwa sechs Monaten berichtete Heidrun von einer tiefgreifenden Veränderung. Die Pflegesituation war objektiv ähnlich geblieben, aber ihre Haltung hatte sich grundlegend gewandelt. Sie konnte „Verantwortung“ nun als einen Wert sehen, der sie ausmachte, ohne dass er sie erdrückte. Der entscheidende Schritt war nicht, die Verantwortung abzulegen, sondern ihr eine neue, selbstbestimmte Bedeutung zu geben und sie in ein Gleichgewicht mit anderen wichtigen Lebenswerten einzuordnen.

Schlüsselbund als Symbol für Wörter in Lebensphasen

Ein ganzes Bund guter Schlüsselwörter

Der Prozess, die eigenen Schlüsselwörter zu entdecken, ist eine Reise, die nie wirklich endet. Sie entwickelt sich mit jeder neuen Erfahrung und verändert sich so, wie du dich veränderst. Genau das macht die Arbeit so spannend und lebendig.

Im Coaching geht es nicht darum, ein endgültiges Ergebnis zu präsentieren, sondern immer wieder aufs Neue den inneren Kompass zu justieren und das eigene Leben bewusster zu gestalten.

Franz Kafka schrieb im Oktober 1921 in seinem Tagebuch:

„Es ist sehr gut denkbar, dass die Herrlichkeit des Lebens um jeden und immer in ihrer ganzen Fülle bereit liegt, aber verhängt, in der Tiefe, unsichtbar, sehr weit.

Aber sie liegt dort, nicht feindselig, nicht widerwillig, nicht taub. Ruft man sie beim richtigen Wort, beim richtigen Namen, dann kommt sie. Das ist das Wesen der Zauberei, die nicht schafft, sondern ruft.“

In meinem Coaching stehst du im Zentrum eines behutsamen Schreibprozesses. Die Magie besteht in der Zauberei, die nicht schafft, sondern dich ruft, so wie Kafka es beschreibt. Dabei entfaltet sich deine innere Landkarte, die dir Orientierung und neue Perspektiven eröffnet.

Coaching ist ein sicherer Ort. Hier öffnet sich der Raum der Erlaubnis, in dem du ganz du selbst sein darfst; der Raum der Erkenntnis, in dem verborgene Muster und Schlüsselmomente sichtbar werden; und der Raum der Entwicklung, in dem Muster verwandelt werden können und du aktiv neue Wege gestaltest.

Schlüsselwörter sind mehr als nur Worte – sie sind der Herzschlag deiner Identität.

Wenn du dich auch auf diese Entdeckungsreise einlässt, öffnest du die Tür zu einem Leben, das in jedem Augenblick voller Bedeutung steckt. Lass dich von deinen Schlüsselwörtern leiten – sie könnten der Kompass sein, der dich zu deiner wahren Bestimmung führt.

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